Seite 72 Vorwärts in die Vergangenheit!
der „Reichsideologen“ gar kein deutsches Geld
gewesen sein.
Bei all dem Getue um sechs oder sieben Feder-
schwingen ist den „Reichsideologen“ offenbar
noch gar nicht aufgefallen, dass der Adler im
Bundeswappen seit eh und je nur fünf Feder-
schwingen hat (Abb. 25 links) und dass die
Bundesregierung für Briefköpfe, Drucksachen
usw. seit 2005 ein neues Signet benutzt, zu
dem auch ein neu gestalteter Adler gehört
Abb. 29: Adler aus dem kleinen
Bundessiegel (l.), neues Signet (r.)
dagegen ist die künstlerische Gestaltung des
Adlers im Einzelfall vorbehalten. Hier gibt es
einen breiten Spielraum, denn zum Aussehen
des Wappentieres ist lediglich festgelegt, dass
es einköpfig ist, das Haupt nach seinem rech-
ten Flügel hin wendet, keine Krone auf dem
Haupt hat und im Schilde schwebt 1 . Wichtig ist
allein, dass man es als Bundesadler erkennt.
Wer etwa auf die alten DM-Münzen der Bun-
desrepublik schaut, sowohl auf die normalen
Kursmünzen (Abb. 27) als auch auf die Sonder-
münzen, sieht jedes Mal einen anderen Adler,
dessen Erscheinungsbild gerade bei den Son-
dermünzen meist dem Anlass für die Ausgabe
der Münze angepasst ist; in einigen Fällen sind
nicht einmal die Flügel symmetrisch. Der Adler
auf unseren heutigen normalen Münzen zu 1
und 2 sieht auch anders aus als der auf dem
offiziellen Wappen: statt in sechs oder sieben
Schwingen ist das Gefieder der Flügel in zahl-
reiche Strahlen aufgelöst (Abb. 27 rechts). Der
Adler auf dem früheren 100-DM-Schein dage-
gen war naturalistisch gestaltet. Und der Adler,
der im Plenarsaal des Bundestages hängt
(auch als „Fette Henne“ bekannt), hat wieder
eine andere Gestalt. Bisher hat sich kein Abge-
ordneter darüber beschwert, obwohl man unter
denen doch eigentlich ein paar gute Völker-
rechtler finden müsste.
Zur Zeit der Weimarer Republik lagen die Dinge
ganz ähnlich. Abb. 28 zeigt die Rückseiten eini-
ger Gedenkmünzen zu 5 Reichsmark aus den
Jahren 1927 bis 1932. Der Adler erscheint je-
des Mal anders. Es ließen sich noch zahlreiche
andere Beispiele anführen. Zum Jubiläum der
Weimarer Verfassung 1929 wurde sogar eine
5 RM-Münze geprägt, die überhaupt keinen
Adler zeigte, sondern vorne ein Bild von
Reichspräsident v. Hindenburg und hinten eine
(Abb. 29 rechts). Er sieht dem alten sehr ähn-
lich, hat aber nur noch fünf Federschwingen!
Zudem hat er sein Auge zurückbekommen, das
im kleinen Bundessiegel (Abb. 29 links) ver-
schwunden war. Es ist höchst verwunderlich,
dass sich auf diese Tatsache noch niemand ge-
stürzt hat, zeigt aber zugleich auch wieder sehr
schön das Niveau der in „Fachkreisen“ herr-
schenden selektiven Sachkunde.
Die gesamte Erbsen- bzw. Federzählerei ent-
puppt sich also als viel Lärm um wirklich gar
nichts. Jeder Deutsche kann mit seinem Perso-
nalausweis oder Reisepass durch die Welt rei-
sen, und wenn er dabei Probleme haben sollte,
liegt das sicherlich nicht an der Zahl der Feder-
schwingen des Adlers. Oder hat schon mal je-
mand erlebt, dass die Leute an der Passkon-
trolle nachgezählt haben?
Allerdings ist dieses bedeutende Problem auch
schon dem Bundestag vorgelegt worden. In
einer Petition 2 äußerte im Sommer 2012 je-
mand den Wunsch, überall den gleichen Adler
zu nehmen, weil es sonst an Grenzen Schwie-
rigkeiten geben könnte. Auch sei der Adler auf
deutschen Reisepässen gar kein Bundesadler,
sondern der Reichsadler von 1919. Weiter wur-
de gesagt (leider ohne Quelle):
Das Bundesverfassungsgericht hat auch
festgestellt, das der Reichadler kein
Staatswappen der BRD ist.
Bei Redaktionsschluss befand sich die Petition
noch in der Prüfung.
Wirklich wild muss es in den Köpfen der
„Reichsideologen“ hergehen, wenn sie etwa be-
haupten 3 :
Ebenso wie die Staatsflagge, konnte die
„Bundesrepublik Deutschland“ als be-
setztes Gebiet auch kein eigenständiges
Staatswappen führen. So wurde durch
Schwurhand! Das dürfte dann nach der Logik
2
Petition Nr. 35558 vom 31. August 2012;
http://www.bundestag.de/service/glossar/B/
[338]c S. 13
1
bundesadler.html
https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2012/_08/_31/
Petition_35558.html
3